Baldrian

  • Valeriana officinalis
  • Echter Arznei-Baldrian, Großer Baldrian, Stinkwurz, Katzenkraut, Hexenkraut
  • (Fam. Valerianaceae, Baldriangewächse)
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Kräuterbeschreibung

Der Echte Arznei-Baldrian wird 70 bis 150 cm hoch und besitzt mehrere lange Stengel, die unten oft rötlich sind. An diesen sitzen gegenständig die fiederteiligen Blätter, von denen die mittleren 5 bis 14 Fiederpaare aufweisen. Ihre Fiedern sind gezähnt und die Endfieder ist genauso breit oder schmaler wie die Seitenfiedern.

Der Blütenstand ist stark verzweigt und trägt doldenartige Teilblütenstände (Trugdolden). Seine zahlreichen Blüten erscheinen zwischen Juni und August und sind rosa oder weiß und sehr klein (2 bis 5 mm).

Die hellbraunen Samen (Schließfrüchte) sind 2 mm lang, flach und tränenförmig. Das kurze Rhizom (Wurzelsproß, Erdsproß = verdickte und Nährstoffe speichernde unterirdische Sproßachse) hat keine oder nur bis 3 cm lange unterirdische Ausläufer und blasse, fibröse Wurzeln, die nach einer Weile unangenehm nach altem Leder riechen; getrocknet haben sie ein eher ranziges Aroma (Name: Stinkwurz).

Verwandte Kräuter

Von der formenreichen Gattung Valeriana gibt es mehrere Sippen, die sich weiter aufgliedern lassen; auch Bastardbildungen kommen vor.
Die Sippe Arznei-Baldrian Valeriana officinalis teilt sich vor allem nach der Blattform, den Ausläufern und den ökologischen Ansprüchen in mehrere Unterarten oder gar selbstständige Arten.

In gleicher Weise wie der Echte Arznei-Baldrian werden aus dieser Sippe verwendet: der Ausläufertreibende Arznei-Baldrian (V. procurrens), der Holunderblättrige Arznei-Baldrian (V. sambucifolia), der Wiesen-Arznei-Baldrian (V. pratensis) und die Arten V collina und V. exaltata.
Zu den Baldriangewächsen gehört auch Feldsalat (Valerianella) mit 6 einheimischen Arten, z. B. Gewöhnlicher Feldsalat oder Rapunzel (V. locusta).
Eine weitere Heilpflanze aus dieser Familie ist die Rote Spornblume, auch Spornbaldrian genannt (Centranthus ruber). Sie ist im Mittelmeergebiet heimisch und dient in Mitteleuropa vor allem als Zierpflanze. Wie der Arznei-Baldrian wird sie als beruhigendes Mittel verwendet und hat einen höheren Gehalt an Valepotriaten, aber kein ätherisches Öl und keine Alkaloide.

Schon im frühen Altertum als Heilpflanze bedeutsam war die im Himalaya beheimatete Narde (Nardenbaldrian: Nardostachys wallichii syn. N. jatamansii).

Vorkommen

Herkunft und Verbreitung

Der Echte Arznei-Baldrian ist eine subkontinentale, osteuropäische und nordasiatische Art und in Deutschland an der westlichen Grenze seines ursprünglichen Verbreitungsgebiets. Heute ist er in nahezu allen Ländern nördlich des Mittelmeeres anzutreffen, östlich in der Türkei, im Kaukasus und in Russland bis zum Ural. In den Alpenländern findet man ihn bis in eine Höhe von 2.000 m. In Nordamerika wurde er eingebürgert.

Standort

Die Art kommt in sonniger bis halbschattiger Lage an Gräben, Ufern und Waldlichtungen, in Hochstauden-Ufergesellschaften, auf nassen bis wechselfeuchten, nährstoff- und basenreichen Lehm- und Tonböden vor; ist aber auch auf Kalkschuttböden, seltener auf Moorwiesen anzutreffen. Durch Verkleinerung seiner Blätter kann sich der Baldrian aber auch an weniger feuchte und sogar trockene Standorte anpassen.

Kultivierung

Vor allem in Belgien, den Niederlanden und in Osteuropa (vor allem Rußland) sowie in Japan und den USA wird der Baldrian für pharmazeutische Zwecke kultiviert. In Deutschland gibt es nur sehr wenige Anbauflächen in Nordbayern (Franken). Nach der Aussaat im Frühjahr können Rhizom und Wurzeln im zweiten Herbst geerntet werden.

Brauchtum

Der Nardenbaldrian oder Pakistanischer Baldrian (Nardostachys wallichii syn. N. jatamansii) zählt zu den ältesten Heilpflanzen Asiens. Aus seinen Wurzelstöcken gewann man als wertvollen Rohstoff für Salben das ätherische Öl – ein unentbehrlicher Luxusartikel für besonders begüterte Römerinnen. Nardenöl war der Hauptbestandteil des legendären alchimistischen Allheilmittels „Theriak“, welches nach Vorschriften aus dem 1. Jh. n. Chr. aus über 60 Bestandteilen zubereitet und noch im 19. Jh. in den offiziellen Arzneibüchern geführt wurde.

Hippokrates (460-375 v. Chr.), Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) und Galenus (129-199 n. Chr.) empfahlen „Baldrian“ als Mittel gegen Frauenleiden (Menstruationsbeschwerden) und Seitenstechen.

Im Mittelalter riet Hildegard von Bingen (1098-1179) zu der aus heutiger Sicht sehr zweifelhaften Anwendung bei Brustfellentzündung (Pleuritis) und Gicht. Im 15. Jh. schloß man aus der die Katzen stimulierenden Wirkung des Baldrians auf eine gleichartige Wirkung auf das Liebesleben des Menschen. Es folgte eine große Enttäuschung, wenn der Baldrian genau das Gegenteil bewirkte (Anaphrodisiakum: man beruhigte sich und wurde schläfrig).

Ein ähnlicher Trugschluß des Kräuterpfarrers Hieronymus Bock (1498-1554) war dessen Begründung bei Augenleiden: die von Baldrian angezogenen Katzen sehen gut und somit müßte das Kraut auch bei Augenkrankheiten helfen. In Siebenbürgen kaute der Arzt die Wurzel und hauchte dann seinen Atem über die kranken Augen des Patienten. Als sehr wirksames Mittel gegen Mottenfraß legte man die Wurzel in den Kleiderschrank, doch davon kam man recht bald wieder ab, denn die Kleidung soll allzu streng gerochen haben.

Mit dem Gestank getrockneter Wurzeln glaubte man sogar die Hexen vertreiben zu können (Name: Hexenkraut: „Baldrian, Dost und Dill, kann die Hex nit, wie sie will“). Im Mittelalter verwendete man Kraut und Wurzel als Wundermittel „gegen alles“ (Beinamen: „all heal“ und „guerit tout“) und besonders gegen die Pest: „Baldrian und Bibernell heilt die Pest zur Stell“ und „Eßt Pimpernell und Baldrian, dann gehet euch die Pest nicht an.“

Die heutige Verwendung bei Unruhe- und Erregungsstörungen ist erst seit dem englischen Apotheker John Hill (1716-1775) und dem deutschen Arzt Christoph W. Hufeland (1762-1836) bekannt, der u. a. Goethe, Schiller und das preußische Königspaar behandelte.

Wissenswertes

Der Name Valeriana kommt von lat. „valere“ = gesund sein.
Bei dem von Katzen geliebten Geruchsstoff in Blättern (riechen holunder- bis meerrettichartig), Rhizom und Wurzeln soll es sich um einen Ester der Bornylisovalerianylsäure handeln (Name: Katzenkraut).
Ein nicht mit dem Baldrian verwandtes, aber vielleicht noch wirksameres Beruhigungsmittel ist der zu den Orchideen gehörende Amerikanische „Baldrian“ oder Frauenschuh (Cypripedium calceolus var. pubescens). Auch hier wird der Wurzelstock verwendet. Die im östlichen Nordamerika vorkommende Pflanze wurde durch übermäßiges Sammeln nahezu ausgerottet.

Eigenschaften

Wesentliche Inhaltsstoffe

Die frischen Wurzeln des Baldrians enthalten rund 1,5 % ätherisches Öl mit überwiegend Monoterpenen (Borneol, Campher/Kampfer) und Sesquiterpenen (monocyclisch: ß-Bisabolen; bicyclisch: Valerensäure); 0,5 bis 2 % Valepotriate (= Iridoide) – vor allem Valtrat und dessen Abbauprodukt Baldrinal (Wang et al. 2014), sowie 1,5 % Dihydrovaltrat. Bei den zahlreichen Formen und örtlichen Rassen des Baldrians gibt es erhebliche Gehaltsschwankungen.

Die Valepotriate sind instabil (thermo- und chemolabil) und werden bei der Trocknung und Zubereitung zerstört. Der charakteristische und für Menschen eher unangenehme Geruch (Isovaleriansäure) entsteht erst beim Trocknen. riecht balsamartig und wird als Nahrungzusatz verwendet.

Eigenschaften, Wirkungen

Die Inhaltsstoffe der Baldrianwurzel enthalten zentral dämpfende Stoffe, die beruhigend wirken und die Schlafbereitschaft fördern. Es ist noch nicht genau bekannt, auf welche Inhaltsstoffe diese Wirkungen zurückzuführen sind. Diskutiert werden insbesondere die Valepotriate, aber auch Valerensäure, Valeranon und das ätherische Öl des Baldrians. Das Rätsel um die Wirkstoffe bleibt vorerst noch ungelöst und beim Baldrian gilt noch mehr als bei anderen Pflanzen das Grundprinzip der Pflanzenheilkunde: „Der Extrakt ist der Wirkstoff”.

Forschung

Vor einigen Jahren sollen Lignane als weitere Inhaltsstoffe der Baldrianwurzel nachgewiesen worden sein (Schumacher et al. 2002; Müller et al. 2002). Seither wird diskutiert, ob diese Stoffe für die schlaffördernde Wirkung des Baldrians mitverantwortlich sind, indem sie im Gehirn an bestimmte Rezeptoren (u. a. den Neurotransmitter g-Aminobuttersäure = GABA) binden, die den Schlaf-Wach-Rhythmus steuern – evtl. unter Beteiligung des Adenosin-Regelkreises, der das Gehirn vor einem möglichen Energiemangel schützt. Spätere Nachweise der Lignane und ihrer Wirkung waren jedoch nicht erfolgreich, so dass diese – mittlerweile überall zitierte – Erklärung zunächst verworfen werden sollte (Sendker, J. et al. 2019).

Warnhinweise

Eine schwache Giftwirkung besteht nur bei extrem hoher Dosierung. Baldrian sollte nicht zusammen mit anderen Schlafmitteln eingenommen werden.
Es gibt zweifelhafte Präparate mit dem Namen Baldrian, denen synthetische Stoffe zugesetzt wurden (Gefahr von Nebenwirkungen und Medikamentenabhängigkeit). In manchen Baldrianpräparaten wird nicht Valeriana officinalis, sondern der mexikanische Baldrian (V. edulis spp. procera syn., V. mexicana), oder der Nardenbaldrian (V. wallichii) verwendet. Über deren Nebenwirkungen – es soll Hinweise auf Zellschädigungen geben – ist wie bei anderen exotischen Baldrianarten nur wenig bekannt.

Anwendung

Anwendungsgebiet

Arzneidroge: Valerianae radix (Baldrianwurzel)
Baldrian ist ein geeignetes und relativ unbedenkliches Mittel bei Unruhe- und Erregungszuständen (einschließlich Streß) und hilft bei nervös bedingten Einschlafstörungen.
Traditionell wird der Baldrian auch bei Muskelverspannungen, Krämpfen im Magen-Darm-Trakt und Verdauungsstörungen, nervösen Herzbeschwerden, Asthma und Koliken angewendet. Nicht geeignet ist er bei Panik, akuten Angstzuständen und Angstneurosen wie auch gegen Durchschlafstörungen und morgentliches Früherwachen.

Anwendungsart

Die Anwendung kann innerlich oder äußerlich erfolgen. Innerlich durch Pflanzenpreßsaft, Infus (= Aufguß), Tinktur (= Extraktion in Alkohol), Extrakt (Pflanzenauszug) oder Fluidextrakt (Flüssigkeits-Extrakt), äußerlich als Badezusatz.
Zur inneren Anwendung nimmt man 1 bis mehrmals täglich Teeaufgüsse (2 bis 3 g Droge pro Tasse), Tinkturen (1/2 bis 1 Teelöffel voll = 1 bis 3 ml) oder Extrakte (2 bis 3 g Droge entsprechend). Valepotriate, denen die erregungsdämpfende Wirkung des Baldrians zugeschrieben wird, sind in Baldriantee und -tinktur nicht enthalten; für diese Wirkung könnten auch andere Inhaltsstoffe verantwortlich sein.
Als Badezusatz werden für ein Vollbad 100 g Droge verwendet.
Will man den Baldrian vor Prüfungen etc. verwenden, sollte die Wirkung vorher ausprobiert werden, denn jeder Mensch reagiert etwas anders.

Das Homöopathikum Valeriana wird ebenfalls aus der getrockneten Wurzel hergestellt. Anwendung bei Schlafstörungen, Nervosität, Überreizung, Belastung und Streß, nervösen Herzbeschwerden und im Klimakterium.

Produkte

Getränke

Baldrian wird auch zur Herstellung von Spirituosen (Feinbitter und Boonekamp) verwendet. Die genauen Rezepte sind in der Regel ein Geheimnis der jeweiligen Hersteller.

Tee

Zur Tee-Herstellung: siehe unter „Anwendung und Verordnung“.
Im Handel als Beruhigungstee und Gute-Nacht-Tee angebotene Produkte können ebenfalls Baldrian enthalten.

Kosmetik

Baldrian ist in einigen Salben und Badezusätzen enthalten, die im Handel erhältlich sind.

Tipps

Selbstgezogene Pflanzen können einen sehr unterschiedlichen Wirkstoffgehalt besitzen und die sachgerechte Aufbereitung der Droge ist aufwendig. Bei der Verwendung eigener Baldrianwurzeln ist man daher kaum in der Lage, die richtige Dosierung herauszufinden. Aus diesem Grund wird empfohlen, lieber fertige Baldrianpräparate anzuwenden. Hierbei ist darauf zu achten, daß ein ausreichend hoher Baldriananteil enthalten ist (eine zu geringe Dosierung hat keine Wirkung). Enthält die Inhaltsangabe noch viele weitere Heilpflanzen, sind deren Wirkstoffe oft nur in geringer Konzentration vorhanden und können unwirksam sein.

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Letzte Änderung: 3. März 2018
Letzte inhaltliche Änderung/Überprüfung: z. Z. in Arbeit (2021)

Zitierweise:
Pelz, Gerhard Rudi & Birgitt Kraft (2018): Baldrian (Valeriana officinalis) – in: Kräuter-ABC, Website der Stiftung zur internationalen Erhaltung der Pflanzenvielfalt in Brunnen/Schweiz: www.kraeuterabc.de (abgerufen am ……).


BILDNACHWEISE UND ZITIERTE LITERATUR

Bildnachweise

alle Fotos und Abbildungen:
© Dr. Gerhard Rudi Pelz, Petersberg

Zitierte Literatur
→ Standardwerke, Lehrbücher und weiterführende Literatur finden Sie im Literaturverzeichnis (home-Seite oder (http://www.kraeuterabc.de/literatur/)

Müller, C. E. et al. (2002) Interactions of valerian extracts and a fixed valerian–hop extract combination with adenosine receptors. – Life Sciences 71: 1939–1949.

Schumacher, B. et al. (2002) Lignans Isolated from Valerian: Identification and Characterization of a New Olivil Derivative with Partial Agonistic Activity at A1 Adenosine Receptors. – J. Nat. Prod. 65: 1479–1485.

Sendker, J. et al. (2019): Baldrianwurzel–Auf der Suche nach dem Schlaflignan. – Zeitschrift für Phytotherapie, 2019 – researchgate.net; (Thieme); (file:///Users/apple/Downloads/Sendker_2019_AufderSuchenachdemSchlaflignanA0_3.pdf).

Wang, C. et al. (2014): Study on Characterization of the Degradation Products and Dynamics of Valtrate in the Artificial Gastrointestinal Fluid by HPLC- ESI MS/MSn. – Journal of Liquid Chromatography & Related Technologies 38 (4): 459–466, doi: 10.1080/10826076.2014.913524.